"Musterschüler"

Ich kann mir nur schwerlich vorstellen, dass einer von uns jemals für ein Schulfach so viel Einsatz gezeigt hat. Mit derartiger Gründlichkeit an die Hausaufgaben gegangen, sich unter strenger Selbstkritik ans Üben gemacht, wiederholt, noch mal wiederholt und schließlich enthusiastisch über den noch so kleinsten Fortschritt gefreut...

Vielleicht muss man erst erwachsen werden, ein zeitaufwändiges und teures Hobby wie das Dressurreiten betreiben und schließlich auch noch beschließen, in der knappen Freizeit bei klirrenden Temperaturen um den Gefrierpunkt ein ganzes Wochenende im Stall zu verbringen. Möglicherweise sind genau das die richtigen Voraussetzungen, ein Musterschüler zu werden. Vielleicht liegt es aber auch an unserem Seminarleiter, Dr. Sascha Brückner. Nein, weder Guru noch Scharlatan, Jurist ist der junge Mann, und weil er auch an den Wochenenden das Richten nicht sein lassen kann, tut er das - vorzugsweise in Pferdeanhängern oder Erdbeerhäuschen, die in der Regel hinter dem Buchstaben "C" stehen - auf Turnierplätzen. Kein Wunder also, dass uns ein Wochenend-Seminar zum Thema "Zusammenhänge von Schwung, Geraderichtung und Versammlung im Kontext mit Sitz und Einwirkung des Reiters" reizte. Welcher Reiter möchte nicht wissen, was sich hinter den Kommentaren eines Protokolls und den entsprechenden Wertnoten für Argumentationen und Gedanken verbergen?

Im Reiterstübchen wird heiß diskutiert, während
die Autorin sich von Dr. Brückner schulen lässt.
Zehn Zähne klappernde Teilnehmer also waren wir, die Ende Oktober in der Reithalle des Stalls Timmermann ihre Runden drehten, je nach Ausbildungsstand eine Aufgabe der Klasse A, L oder M vorritten und anschließend eine halbe Stunde Einzelunterricht bei Dr. Brückner erhielten. Eine lehrreiche Unterrichtseinheit - der tatsächliche "Aha-Effekt" setzte allerdings später ein, als wir die auf Video dokumentierten Ritte gemeinsam analysierten. Wie sichtbar vermeintlich kleine Fehler wie ein Einknicken in der Hüfte oder eine unruhige Hand in den bewegten Bildern waren! Die vierbeinigen Lehrmeister zeigten uns schonungslos die Folgen in Form von Taktstörungen, unruhigem Genick, Entziehen der Hilfen. Ebenso sichtbar waren an diesem ersten Tag und am folgenden Sonntag jedoch auch schon die in den Einzelstunden erarbeiteten Erfolge. Besser sitzende Reiter, zufriedenere Pferde, die teilweise einen bedeutend verbesserten Bewegungsablauf zeigten. Ich glaube, jeder von uns langjährigen Reiter nahm wertvolle Tipps und neue Anregungen mit - und dürfte wieder einmal erstaunt darüber gewesen sein, auch nach Jahren und Jahrzehnten des Reitens noch so viel lernen zu können.

Wer selbst bei solchen Witterungen so motiviert wird, neigt mitunter zur Gier - das musste auch Dr. Brückner zu spüren bekommen, als wir ihn für eine Fortsetzung nicht höflich anfragten, sondern diese quasi beschlossen. Welche Chancen hat ein noch so durchsetzungsfähiger Mann, wenn zehn wild entschlossene Frauen brüllen "Sie MÜSSEN wiederkommen!"? Genau. Ihm blieb keine Wahl. Und das war unser großes Glück, so trafen wir uns Mitte November wieder. Zur Hausaufgabenkontrolle.

Musterschülerinnen" und ihr Lehrmeister:
Astrid Corzillius und Karen Meyer mit Dr. Sascha Brückner
Nun ist Dr. Brückner Jurist, nicht Professor. Dennoch dürfte es ihn mit ein wenig Stolz erfüllt haben, dass wir in nahezu gleicher Teilnehmer-Aufstellung erneut in der Kälte anrückten, um uns seinem wachsamen Auge und der Kamera zu stellen. Keineswegs teilte er das Schicksal vieler Lehrer: In ein Ohr rein, ins andere raus... Im Gegenteil. Durchweg zeigten die Pferd-Reiter-Paare, dass sie die vergangenen Wochen zum Üben genutzt hatten, was sich insbesondere in der Anlehnung, dem Ausdruck und der Zufriedenheit der Pferde widerspiegelte. Nicht zu vergessen: auch in der Zufriedenheit der Reiter bei der abschließenden Video-Analyse. Denn auch echte Musterschüler dürfen sich bei aller Bescheidenheit mal ein wenig auf die eingefrorene Schulter klopfen, oder?

(von Katharina Köster)